Seit 2009 gibt es zwischen Bayern und Québec einen jährlichen Künstleraustausch im Bereich Literatur und Übersetzung. Projektpartner sind hier das Conseil des Arts et des Lettres du Québec (CALQ) einerseits, das Wissenschafts- und Kunstministerium Bayerns andererseits, welche die Durchführung des Projekts durch UNEQ (Union des écrivaines et des écrivains du Québec) und zunächst dem internationalen Künstlerhaus der Stadt München, Villa Waldberta am Starnberger See, später dem Operpfälzer Künstlerhaus Schwandorf-Fronberg bei Regensburg unterstützen.
Die Québecer Schriftsteller Denis Thériault und Éric Dupont waren 2010 Stipendiaten des Austausches und konnten drei Monate in Bayern verbringen, um ihre Arbeit fortzuführen. Der fließend deutsch sprechende Schriftsteller und Lehrer Éric Dupont hatte bereits drei Romane bei Marchand de Feuilles herausgegeben: „Bestiaire“, „La Logeuse“ und „Voleurs de sucre“. Er konnte während seines Aufenthalts in München an seinem späteren Bestseller „La Fiancée américaine“ weiterarbeiten, in dem die Villa Waldberta selbst einen prominenten Platz einnimmt.
„Ich begann zu schreiben, noch bevor ich meine Koffer in der Villa auspackte. Ich hatte einige Seiten und einen Plan bereits in Österreich, meinem vorherigen Aufenthaltsland, geschrieben. Erst gegen Ende meines bayerischen Aufenthalts habe ich begriffen, dass ich die Villa Waldberta in meinen Roman einbringen konnte. Ich erinnere mich nicht mehr, wie ich auf diese Idee gekommen bin, da ich von Anfang an festgelegt hatte, dass sich die Erzählung in der Berlin-Königsberg-Achse bewegen sollte. (…) In meinem Geist ließen sich Bayern und Königsberg schlecht mischen. Dies war aber ein Vorurteil, das sich schnell zerstreute, als ich darauf kam, dass alle in Bayern eine Schwiegermutter, eine Nachbarin, einen Gärtner oder einen Klavierstimmer haben oder kennen, der in Ostpreußen geboren oder ein Nachkomme von Überlebenden dieser verlorenen Provinz ist. (…) Letztendlich glaube ich nicht, dass ich es geschafft hätte, diesen Roman ohne den Aufenthalt in der Villa Waldberta zu schreiben.” Éric Dupont
Denis Thériaults Roman Das Lächeln des Leguans („L’iguane“) erschien im November 2011 in der deutschen Übersetzung, nachdem bereits 2009 sein erster Roman ins Deutsche übersetzt wurde: Siebzehn Silben Ewigkeit („Le facteur émotif“) – beide Bücher bei DTV.
„Das Schreiben von Romanen ist ein ständiger Kampf gegen die Zeit (…) – ein langfristig mühsames Projekt, das schwer durchzuführen ist, wenn man andauernd von alltäglichen Dingen unterbrochen und abgelenkt wird. Dank der Konzentration und Inspiration und der so kostbaren Zeit, die ich in der Villa Waldberta in Bayerns bezaubernder Herbstzeit finden konnte, habe ich mich 3 Monate lang ganz dem Schreiben meines neuen Romans widmen können. (…) Ich habe meine Reise nach Bayern sehr genossen, vor allem München – eine Stadt, in die ich mich sofort verliebt habe. Folglich habe ich begonnen, einen Roman zu schreiben, der sich hauptsächlich in München abspielt.” Denis Thériault.
Zu den Unterschieden und Gemeinsamkeiten zwischen den zwei Partnerregionen hat Denis Thériault viel von seinem Aufenthalt mitgenommen, vor allem aber
„die unerwartete Feststellung der erstaunlichen Ähnlichkeit unserer Völker. Ich glaube, dass sich diese Verwandschaft durch diverse kulturelle und geographische Faktoren erklären lässt. Genau wie die quebecer Seele, sehe ich auch die bayerische Seele von einer Art „Nordizität“ geprägt. Wir teilen das Gefühl, „anders“ zu sein, eine gewisse Unabhängigkeit in Bezug auf die Föderation, der wir angehören. Diese Gemeinsamkeit drückt sich aus bis hin zu kulinarischen Aspekten: die bayerische Küche, reichhaltig und großzügig, verwendet die gleichen Basiszutaten wie die quebecer Küche, und widmet sich einer ähnlichen ländlichen Tradition. Zusammenfassend kann man sagen, dass ich mich – bis auf die Sprache, von der ich noch weit entfernt bin, sie zu beherrschen – in Bayern zu Hause gefühlt habe. (…) Ich habe empfunden, dass wir eine lebhafte Neugier für ausländische Literatur teilen, im Allgemeinen eine große Weltoffenheit.”
„(Dennoch) denke ich, dass es feine Unterschiede zwischen dem Literaturgeschmack der Deutschen und der Quebecer gibt. Als Beispiel möchte ich meinen zweiten Roman „Siebzehn Silben Ewigkeit“ (Le facteur émotif) nennen: In Deutschland wurde er sehr gut verkauft, in Quebec hingegen erfreute er sich nur eines Kritikererfolgs. Bei meinem ersten Roman „Das Lächeln des Leguans“ (L’iguane) war es dafür genau umgekehrt: In Quebec kam er sehr gut an, in Deutschland war der Erfolg widerum sehr gedämpft. Ich habe daraus gefolgert, dass die Sensibilität der Leser in den beiden Regionen leicht voneinander abweichen. Auf welche Weise? Schwer zu sagen.”